Lyrikgedächtnisweg Hilde Domin

3. Tafel: salva nos mit Kommentar

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Zuletzt aktualisiert am Donnerstag, den 22. Mai 2014 um 12:38 Uhr Geschrieben von: Administrator Samstag, den 08. März 2014 um 10:56 Uhr

Dies ist unsere Freiheit

die richtigen Namen nennend

furchtlos

mit der kleinen Stimme

 

einander rufend

mit der kleinen Stimme

das Verschlingende beim Namen nennen

mit nichts als unserem Atem

 

salva nos ex ore leonis

den Rachen offen halten

in dem zu wohnen

nicht unsere Wahl ist.

 

Hilde Domin, Hier (1964)

Sämtliche Gedichte, S.118

 

Die Aufgabe des schreibenden Menschen besteht darin, sich an die Wahrheit zu halten, auch wenn die Wirklichkeit ihn in die Lüge drängt. „Wahrheit“ und „Wirklichkeit“ bilden verschiedene Instanzen. Die Wirklichkeit, wie Hilde Domin sie erfahren hat, erzeugte einen bitteren Geschmack auf ihrer Zunge. Sie wurde ja zum Auswandern gezwungen und musste um ihr Leben rennen, erst nach Italien, dann nach England, in die USA und schließlich in das Land, „Dominikanische Republik“ genannt, wo der Diktator Trujillo herrschte. Sie wollte sich nicht an die Wirklichkeit anpassen. Sie hätte die Wahrheit verbiegen müssen. Die Bezeichnung „Republik“ für eine Diktatur ist so eine Verbiegung der Wirklichkeit und Wahrheit, die den Zwecken der Herrschenden schmeichelt und ihre wahren Ziele verschleiert.

Als Hilde Domin auf der Insel Santo Domingo im Exil lebte, wurde sie sich ihrer Ohnmacht bewusst, was die schlimmen Verhältnisse in Hitlers Deutschland betraf. Der Begriff „kleine Stimme“ drückt diesen Sachverhalt aus. Sie kam sich wie David im Kampf gegen Goliath vor. Doch sie hielt „dem Verschlingenden“ stand und schaffte es nach dem Krieg, ihre „kleine Stimme“ in eine große und mutige zu verwandeln. Sie hat damit unzähligen Menschen geholfen, sich an der Wahrheit aufzurichten.

 

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2. Tafel: Das Mut-Zitat

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Zuletzt aktualisiert am Donnerstag, den 22. Mai 2014 um 12:38 Uhr Geschrieben von: Administrator Samstag, den 08. März 2014 um 10:54 Uhr

Hilde Domin, Der dreifache Mut

„ Kein Satz, kein wirklicher und wesentlicher Satz kann geschrieben werden, ohne dass das ganze Pathos und das ganze Leid einer Persönlichkeit dahinter steht.“

Gottfried Benn in einem Brief 1949. Zitiert von Hilde Domin in „Wozu Lyrik heute?“ S.30


„Es kann gar nicht genug gesagt werden, dass Kunst von Mut lebt. Am meisten aber die Dichtung, die sich nicht „herausreden“ kann, sondern „hereinreden“ muss. Sie ist geradezu eine Erziehung zum Mut, verdirbt ohne sie, er ist so wichtig wie das handwerkliche Können. Der Mut, den der Lyriker braucht, ist dreierlei Mut, mindestens: der Mut zum Sagen (der der Mut ist, er selbst zu sein, siehe das Zitat von Gottfried Benn), der Mut zum Benennen (der der Mut ist, nichts falsch zu benennen und nichts umzulügen), der Mut zum Rufen (der der Mut ist, an die Anrufbarkeit des andern zu glauben). Durch das Nadelöhr seines Ichs muss er hindurch ins Allgemeine: in die punktuelle, die paradoxe Wahrheit der unwiederholbaren einmaligen und zugleich doch beispielhaften Erfahrung, in die „wirkliche Wirklichkeit“.

Hilde Domin in „Wozu Lyrik heute?“ S.30

 

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1. Tafel: Lebensdaten

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Zuletzt aktualisiert am Donnerstag, den 22. Mai 2014 um 12:38 Uhr Geschrieben von: Administrator Samstag, den 08. März 2014 um 10:38 Uhr

Hildegard Löwenstein wurde 1909 in Köln geboren. Ihr Vater war ein engagierter Jurist jüdischer Herkunft. Er gilt als „assimilierter Jude“. Hilde Domin erzählt in ihren Kindheitserinnerungen gerne, dass sie mit ihm über seine Fälle diskutierte. Nach dem Abitur schlug sie die Richtung auf das Jura-Studium ein, erweiterte es aber um die Fächer Soziologie, Politik und Philosophie. Sie studierte zuerst in Köln, dann in Heidelberg. Sie promovierte schließlich in Italien.

 

1932 wurde zum Schicksalsjahr im Leben von Hilde Löwenstein. Sie lernte den Studenten der Archäologie Erwin Walter Palm kennen, ihren späteren Ehemann. Sie hörte Hitler eine seiner Brandreden gegen die Feinde Deutschlands, die Juden und die Kommunisten, halten und beschloss umgehend, zusammen mit ihrem Freund Erwin Walter Palm, der auch Jude war, Deutschland zu verlassen.

1935 promovierte sie in Rom und Florenz über einen Vorläufer von Macchiavelli.

1936 heiratete sie  Walter Erwin Palm, der im Jahr 1988 gestorben ist.

1937 floh das Ehepaar Palm erneut, dieses Mal aus dem Italien Mussolinis, der damit begann, wie Hitler gegen die Juden vorzugehen.

1938 fanden die Palms Aufnahme in der Dominikanischen Republik. Sie verdankten diesen Gnadenakt des Diktators Trujillo der Tatsache, dass er eine Universität aufbaute und Personal suchte. Erwin Walter Palm fand eine Anstellung als Professor für Archäologie.

Hilde Palm begnügte sich nicht damit, Hausfrau zu sein und die Sekretärin ihres Mannes abzugeben. Sie gab Deutschkurse und übersetzte spanischsprachige Lyrik ins Deutsche. Damit begannen die Lehrjahre ihres Dichtertums. Sie wusste damals aber noch nicht, dass sie einst als Dichterin hervortreten würde.

 

1951 starb die Mutter in New York. Hilde war sehr unglücklich, dass sie nicht hinfahren konnte. Die Auseinandersetzungen mit dem Tod der Mutter und mit Erwin ließen sie zu dem Entschluss kommen, Lyrik zu schreiben. Sie führte fortan ein eigenständiges Leben an der Seite ihres Mannes.

 

1954 kehrte das Ehepaar Palm nach Deutschland zurück. Aber erst 1959 wurde die Rückkehr definitiv, als Erwin Walter Palm einen Ruf als Professor nach Heidelberg erhielt. Es war Wolfgang Weyrauch, der Hilde Domin die Idee gab, sich den Künstlernamen „Domin“ nach der Insel ihres Exils zuzulegen.

 

Die Palms brachten ihre Übertragungen aus der spanischen Lyrik mit. Sie wurden 1959 als „Rose in Asche“ veröffentlicht.

Hilde Domin hielt bis kurz vor ihrem Tod im Alter von 97 Jahren zahlreiche Lesungen, auch in Schulen und Gefängnissen, ab. Ihr authentisches dichterisches Wort hat vielen Menschen auf die Spur geholfen.

 

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