Gedicht im Fokus

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Blumenmuskel, der der Anemone

Wiesenmorgen nach und nach erschließt,

bis in ihren Schoß das polyphone

Licht des lauten Himmels sich ergießt,

 

in den stillen Blütenstern gespannter

Muskel des unendlichen Empfangs,

manchmal so von Fülle übermannter,

daß der Ruhewink des Untergangs

 

kaum vermag die weitzurückgeschnellten

Blätterränder dir zurückzugeben:

du, Entschluß und Kraft von wieviel Welten!

 

Wir, Gewaltsamen, wir währen länger,

Aber wann, in welchem aller Leben,

sind wir endlich offen und Empfänger?

 

 

Rainer Maria Rilke, Sonette an Orpheus, Zweiter Teil, 5. Sonett

 

 

Lesen Sie auch die Interpretation zu diesem Gedicht.