1,10 „Euch, die ihr nie mein Gefühl verließt“

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Das zehnte Sonett hat die Form eines Grußes von Orpheus Rilke an seine Freunde, die seinem Gefühl nahe geblieben sind. Zunächst erwähnt er die „antikischen Sarkophage“. Rilke hat die etruskischen und römischen Grabsteine in Italien für ihre Fröhlichkeit im Umgang mit dem Tod bewundert. Natürlich ist ihm seit Ronda das Dasein der Hirten nahe gekommen. Hirten leben nahe an der Natur. Sie wissen viel über die Kräfte des Himmels und der Erde. Ihr Leben stellt eine besondere Form der „Rühmung“ dar, weshalb ihren Augen „entzückte Falter entschwirren“ können.

Wiedergewonnene Fröhlichkeit nach langen Tagen der Klage scheint mir also das versteckte Thema dieses Sonetts zu sein. Der 5. Vers bringt wie zur Bestätigung dieser Aussage zum ersten Mal das Wort „offen“. Liebende sind „offen“, aber auch Hirten und Kinder. Die Achte Elegie ist den offenen Tieren gewidmet. Wir bemerken, wie sehr Rilke sich mit diesen Themen, Offenheit und Fröhlichkeit, beschäftigt hat.

 

© Johannes Heiner, November 2012

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