1,15 „Wartet …, das schmeckt … Schon ists auf der Flucht.“

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Das fünfzehnte Sonett schließt die Reihe der mit dem Leben der Erde befassten Texte ab. Der Dichter bittet um mehr Zeit für eine weitere Geschmacksprobe. Er weiß, dass die Früchte der Erde auch geheimnisvolle Hervorbringungen der Toten sind, die die Erde mit ihren verwesenden Körpern düngen. Mit der Weintraube im Mund und dem Wein auf der Zunge hält der Mensch den lebendigen einen Pol des Lebens in Händen. Es darf getanzt werden, angesagt ist „celebration“, die Feier der Ernte. Für viele Menschen eine Gelegenheit, aufzutauen und einmal zu zeigen, was sie empfinden, auch wenn sie sonst wenige Worte zur Verfügung haben, um sich auszudrücken und mitzuteilen.

Natürlich klingt es verschroben, „die Orange“ zu tanzen! Denn wie soll das vor sich gehen? Es ist anders gemeint. Das Tanzen ist ein Ausdruck lebendigen Lebens. Er erfasst den Menschen und führt ihn, oft gegen seinen Willen, in den wortlosen Spaß an der Bewegung, vielleicht auch Intimität mit einem Partner und sein Begehr. Wer wehrt sich nicht gegen sein „Süßsein“? Steht es doch am Ende eines Prozesses der Aufgabe des eigenen Willens.

Aber der Dichter lässt nicht locker. Vielleicht ist die Orange damals erst „erfunden“ worden? Oder, näher liegend, bietet sie ihm ein Bild für das Leben? Der Dichter nimmt „die Orange“ als ein Symbol der Lust aus den Quartetten in die Terzette hinüber. Er wiederholt den Satz: „Tanzt die Orange“ und er gibt damit kund, wie wichtig ihm diese Aussage ist. Er bleibt nicht nur bei dieser Aussage, sondern er macht sie sinnlich nachvollziehbar. Die Tänzer haben sich warm getanzt, auch die spröden Mädchen, die sich der Konvention entsprechend verhalten, sind warm geworden, „erglüht“, und bereit, ihr Reize spielen zu lassen. Die Verweigerung gehört zum Spiel der Geschlechter hinzu, bildet sozusagen die „Schale“ der Orange nach. Aber im Innern haben sie Feuer gefangen. Und wieder führt der Dichter die Analogie zu Ende. Dem Feuer im Herzen der Mädchen entspricht der Saft im Innern der Orange.

 

© Johannes Heiner, November 2012

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