Rede zum 50. Todestag von Hermann Hesse

Zuletzt aktualisiert am Freitag, den 17. August 2012 um 00:23 Uhr Geschrieben von: Administrator Freitag, den 17. August 2012 um 00:17 Uhr

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Hermann Hesse

Wegbereiter zu einem neuen Verständnis von Religiosität

von Horst Simon

 

Am 9. August 2012 jährt sich zum 50. Male der Todestag von Hermann Hesse. Ganz gewiss gehört er zu jenen, auf die der Titel „moralische Instanz“ zutrifft. Doch so etwas lag ihm einfach nicht. Typisch dafür seine Antwort in seinem Brief an einen Hesse-Fan: „Was mir an einem Glauben wie dem Ihren nicht ganz gefällt, ist die Einseitigkeit mit der Sie ihn an meine Person und meine Schriften knüpfen. Denn dieselben Wahrheiten sind überall, durch alle Zeiten und Literaturen . . .geglaubt und gesagt worden.

Zwanzig Bände umfasst die 2005 vollendete Gesamtausgabe der Werke, die in der Welt zu den meistgedruckten eines deutschsprachigen Autors zählen. Daneben liegen Antworten auf mehr als 35.000 Briefe vor. Diese raubten ihm zwar fast die halbe Zeit von seiner literarischen Arbeit, doch er  betrachtete das als ein „religiöses oder psychotherapeutisches Anliegen“ und antwortete auf alle Fragen, besonders auf Hilferufe aus Lebenskrisen und Glaubenskonflikten, ganz persönlich, ohne jegliche publizistische Ambition. Für ihn gehörte das zur Frömmigkeit, die er als „die beste Tugend, die wir haben können“ bezeichnete. Denn, erklärte er, „ich verstehe unter Frömmigkeit nicht das Pflegen von feierlichen Gefühlen, sondern vor allem die Pietät, die Achtung des Einzelnen vor dem Ganzen der Welt, vor der Natur, vor dem Mitmenschen, das Gefühl des Einbezogenseins und Mitverantwortlichsein. Wer sich um diese Mitverantwortung bemüht, dem zeigt sich das Überpersönliche Eine und Ganze hinter aller Vereinzelung.

Aber ist das nur seine Frömmigkeit? Oder hebt er nicht dieses Wort aus konfessioneller Einengung heraus, setzt es ein für eine Tugend, deren die Welt – womit wir unsere „klein gewordene“ Erde meinen – mehr denn je bedarf? –Wohlgemerkt, das sagte Hermann Hesse vor mehr als einem halben Jahrhundert, als weder Klimawandel noch die Erschöpfung der natürlichen Ressourcen, weder Bevölkerungsexplosion noch das Artensterben Themen waren.

Es war der Dichter und Humanist Hermann Hesse, dem Religiosität als eine Voraussetzung für Menschlichkeit galt. Ihm ging es um die Überwindung der Beschränkungen und Beschränkt-heiten, die die verschiedenen Religionen voneinander trennten. In seinem Hauptwerk, „Das Glasperlenspiel“, stellt er eine „Welt der humanistischen Geistigkeit“ . . .dar, die vor den Religionen zwar Respekt hat, aber außerhalb derselben lebt.“ Sein Glaubensbekenntnis, „…zukunftsichtig, zukunftempfindlich“, wie es Thomas Mann 1947 bezeichnete, erscheint mit dem Untertitel, „Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Joseph Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften“. Darin fasst er zusammen, was ihm wichtig war, eingesponnen in den Rückblick aus der Zukunft auf unsere Zeit, dem „feuilletonistischen Zeitalter“, einer Utopie, einigen Gedichten und drei historischen Lebensläufen.

Im Kern der „Lebensbeschreibung Josef Knechts“ geht es um die immerwährende Suche nach dem Gott für alle Menschen, so verschieden sie auch in ihrer Weltanschauung sein mögen. Näher kommt uns das in der Frage nach dem Sinn des Lebens. Doch wie weit weg scheint so etwas heute zu liegen, in diesem ersten Dutzend Jahren des neuen Jahrtausends, in dem sich hinter der anachronistischen Forderung nach „Wachstum“ die Unersättlichkeit der Reichen verbirgt und der „Tanz um’s goldene Kalb“ alle Menschlichkeit in den Boden zu stampfen droht, wo die Beschleunigung der technisch-wissenschaftlichen Entwicklung, sich potenzierend, das Fassungsvermögen des Einzelnen bei weitem überfordert: Ist da noch Zeit übrig für „Besinnung“? – So titelte Hesse ein Gedicht im Schicksalsjahr 1933, das mit den Worten beginnt: „Göttlich ist und ewig der Geist.

Zu diesem Gedicht schreibt Hesse, dass es „vor allem das Bekenntnis zum Primat des Geistes und zum Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf“ ist, was seinen persönlichen Glauben angehe. „Der ‚Geist‘ . . ist nicht nur göttlich, er ist Gott, er ist nicht pantheistisch gemeint.“ Er verweist an anderer Stelle auf „die göttliche Substanz“. - Aber was bedeutet „nicht pantheistisch gemeint“, oder „göttliche Substanz“? Ausgangspunkt seiner Überlegungen war stets, dass es „natürlich bloß einen Gott, eine Wahrheit,“ geben kann, „die jedes Volk, jede Zeit, jeder Einzelne auf seine Art aufnimmt, für die immer neue Formen entstehen.“ Und als notwendige Ergänzung schreibt der Achtundsiebzigjährige 1955: „Ich glaube an keine religiöse Dogmatik, also auch nicht an einen Gott, der Menschen geschaffen und es ihnen ermöglicht hat, den Fortschritt von Einandertotschlagen mit Steinbeilen bis zum Töten mit Atomwaffen auszubilden . . .“.

Sein Weg als (Gott-) Suchender führte ihn über die indischen Religionen zur chinesischen Philosophie. Und da ist es die Lektüre der Tao-te-king, die Lehre des Lao Tse, die ihn besonders inspirierte. „Tao“, ein Wort, das schwer zu übersetzen ist, weil es etwas aussagt, was objektiv nicht aussagbar ist, weil es subjektiv unterschiedliche Vorstellungen auslöst. Behelfsübersetzungen sind „Sinn“ oder auch „Weg“, und damit verbindet sich die gleiche Vorstellung wie für uns in dem Wort „Gott“. „Sinn – Weg“, fügen wir noch „Gewissen“ hinzu; und all das für uns vereint in „Gott“ und dennoch nicht fassbar, indes seit drei Jahrtausenden Gegenstand fernöstlicher Philosophie.

Und wenn Jesus sagte, „ich bin der Weg“, dann wies er auf die Unendlichkeit, die ständige Veränderung hin, die jeder einzelne Mensch auf dem Wege zu seiner ersehnten – doch nie erreichbaren! – Vollkommenheit bewältigen muss. Anders und doch ähnlich stellt die indische Auffassung vom „Ich“ als dem innersten Kern der Seele, „Atman“ genannt, das Finden des rechten Verhältnisses zu den Anderen und damit zur Norm allen Lebens in den Mittelpunkt.

Von solchen Überlegungen ausgehend, entnehmen wir Hesses Gedanken, dass alle von außen gegebenen Gebote und Gesetze nur Orientierungshilfen sein können, grobschlächtig und lücken-haft. Im Inneren des Menschen variieren unendlich viele Möglichkeiten zum Guten wie zum Bösen. Und in seinen Entscheidungen und Handlungen ist er ständig Verführungen ausgesetzt. Wie oft erkennt er erst im Nachhinein, dass er schuldig wurde. Ethos umfasst weitaus mehr als Gebote und Gesetze dekretieren können.

Hesse spricht von der „Stimme Gottes . . ., als das Wesen der Liebe, der Schönheit, der Heilig-keit“ und betont immer wieder – „ . . .es liegt in dir, in dir und mir und in jedem von uns.“ – Muss da noch hinzugefügt werden, dass er sich bei alledem vom christlichen Grundgebot, der Nächstenliebe leiten ließ? Hermann Hesses Auffassung steht für einen Paradigmenwechsel, der sich im vorigen Jahrhundert infolge der gesellschaftlichen Entwicklung vollzogen hat.

Die Religion befindet sich wohl in der kompliziertesten Zerreißprobe ihrer Geschichte. Hesse erkannte das als einer der Ersten und zeigte den Ausweg aus der Sackgasse durch Besinnung auf die Gültigkeit einer universellen Religiosität. Dabei ging es ihm nie darum, „so etwas wie eine neue Religion, ein neue Formulierung und Bindungsmöglichkeit“ zu finden. Er sah sein „ganzes Leben im Zeichen eines Versuchs zu Bindung und Hingabe, zu Religion.“ Das war seine Humanitas.