Leben und Werk auf einen Blick - 4. Fazit, Anmerkungen

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Neben dem linearen Zeitmodell der Abfolge von Hesses Lebensphasen gibt es also auch ein synthetisierendes Modell, das zeigt, dass in jeder Lebensphase die frühere und die zukünftige bereits angelegt ist. Eine jede Lebensphase verschiebt sozusagen den Schwerpunk und setzt die Akzente neu. Den Vorteil eines solchen integrativen Ansatzes sehe ich in der Gesamtschau auf Leben und Werk. Die Gesamtschau erlaubt es, zu zeigen, wie im frühen Hesse sich die Krisenstimmung vorbereitet und ausgebreitet hat. Sie erlaubt es, das klassische Alterswerk an die Bewältigung der Lebenskrise 1917-1927 anzubinden. Eine solche Betrachtungsweise kann Mut machen, die eigenen Probleme anzugehen, weil klar ist, dass jede Krise auch eine Befreiung von den Konventionen mit sich bringt. Der späte Hesse darf m.E. zu recht als weise zumindest im Sinne des Sokrates bezeichnet werden.3) Nicht, dass er nicht mehr leiden müsste. Augenleiden, Kopfschmerzen, Migräneanfälle, Unproduktivität usw. sind nach wie vor an der Tagesordnung. Doch Hesse leidet weniger an ihnen, weil er durch das Angehen der Krise zu sich selbst gefunden hat. Die bewusste Verarbeitung der Krisenstimmung in Therapie und Dichtung hat ihm selbst die nötige Distanz zu seinen Problemen eingebracht. In "Humor" und "Heiterkeit" fand sie den entsprechenden Niederschlag.

© Dr. Johannes Heiner

 

1) Günter Baumann, Wege zum Selbst. Hermann Hesses Erzählungen im Lichte der Psychologie C.G. Jungs. Selbstverlag 1989, S.247. Ich verweise auf die Internetseite von Herrn Baumann. 
2) Ebd. S. 249 ff
3) Weise im Sinne des Sokrates ist, wer weiß, dass er eigentlich nichts weiß. Allerdings ist dies von Sokrates nicht ohne Ironie gesagt worden. Auch Michel de Montaigne hat sich in den "Essais" auf diese Position berufen. Was Hesse betrifft, sollte man sich davor hüten, seine Dichtung für bare Münze zu nehmen und davon auszugehen, dass er die Einheit von Leben und Werk in allen Punkten vollzogen habe. Man sollte aber auch nicht Hesses hartnäckiges Streben nach Weisheit und Erkenntnis in Zweifel ziehen.

 

 

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