Narziss und Goldmund - 1. Der Inhalt: Die Geschichte von Goldmund

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Hesse nennt seine Geschichte im Untertitel eine "Erzählung". Die Bezeichnung erstaunt. Man würde heute von einem "Roman" sprechen. Hesse hat die bescheidenere Bezeichnung bevorzugt. Einer der Gründe dafür könnte sein, dass nur die Figur des Goldmund plastisch gestaltet ist. Von einem "Roman" erwartet man vielleicht doch noch mehr, als nur das Schicksal einer Hauptperson dargestellt zu finden.

Die Geschichte von Goldmund ist in die der Freundschaft mit Narziss eingebettet. Beide leben im Kloster Mariabronn (Kapitel 1 - 5) zu einer Zeit, die dem Mittelalter angehört (eventuell das 15. Jahrhundert). Narziss ist ein junger, begabter, aber auch etwas hochmütiger Lehrer, der großen Einfluss auf seinen Schüler Goldmund gewinnt und ihm hilft, zu sich selbst zu finden. Während Narziss das Mönchsgelübde ablegt, verlässt Goldmund das Kloster. Die Freundschaft zwischen den beiden bleibt aber bestehen. Narziss kann Goldmund viele Jahre später das Leben retten und Goldmund revanchiert sich, indem er sein Kunstschaffen dem Kloster Mariabronn zur Verfügung stellt, das inzwischen vom Abt Johannes, dem früheren Narziss, geleitet wird (Kapitel 18 - 20). In diesem Schlussteil des Romans findet die Freundschaft zwischen den beiden gegensätzlichen Naturen ihre Erfüllung.

Der mittlere Teil des Romans erzählt von zwei großen Wanderschaften Goldmunds. Die erste Wanderschaft führte ihn zu einem Rittergut, wo es neben dem Ritter, der ihn mit gelehrten Schreibarbeiten beauftragt, zwei hübsche Mädchen gibt. die von Goldmund heftig angezogen sind, sich aber nicht dazu durchringen können, ihm zu gehören. Diese sittenwidrige Leidenschaft wird aufgedeckt und Goldmund muss das Rittergut verlassen. Er trifft auf Viktor, den Schnapphahn und muss ihn umbringen, weil Viktor ihn bestehlen will. Nach diesem Mord geht es Goldmund nicht mehr gut. Das schlechte Gewissen bringt ihn in Bedrängnis, bis er in einer Kirche die Beichte ablegt und auf das wunderbare Bildnis einer Madonna trifft. Die Madonna führt ihn zum Meister Niklaus in der Bischofsstadt (Kapitel 11 + 12). Goldmund legt hier eine dreijährige Pause ein und bildet sich zum Bildschnitzer aus. Es gelingt ihm, die Figur des Jüngers Johannes bzw. seines alten Freundes Narziss zu gestalten. Doch dann schlägt er das ehrenvolle Anerbieten des Meisters aus, sein Compagnon und Schwiegersohn zu werden. Er verlässt die Bischofsstadt und begibt sich in den zweiten Teil seiner Wanderschaft (Kapitel 13-17).

Man sieht an diesem Aufbau, dass die Handlung zielstrebig auf die Ereignisse in der Bischofsstadt zuläuft. Goldmund trägt in sich die Doppelnatur eines Fahrenden ("Vaganten") und eines Künstlers. Seine Lebensaufgabe besteht in der Versöhnung dieser Pole. Es wird das Kunstschaffen sein, in dem Goldmund eins und ganz wird. Die Bischofsstadt ist in diesem Prozess der Selbstfindung derjenige Ort, an dem Goldmund den zweiten Pol seines Wesens, das Künstlertum, ausbildet. Er wird von Goldmund später ein zweites Mal aufgesucht und trägt dann die Spuren des Verfalls durch das Wüten der Pest. Der Meister ist gestorben und die Jungfer Lisbeth ist "vertrocknet". Goldmund hat gerade ein paar Tage Zeit, die Gesichte aufzuzeichnen, die ihm während der Pest begegnet sind. Und schon hebt das neue Abenteuer mit Agnes, der "Kebse" des Grafen Hermann, an.

Die Erlebnisse Goldmunds während der Pest (Kapitel 14) gehören zum tief Beeindruckenden dieser Erzählung. Goldmund denkt nicht daran, sich zu schützen. Er ist hingegeben an das Schauen. Die Figur des Robert bildet den Kontrast zu Goldmund. Robert ist überaus ängstlich, sich anzustecken und wirkt etwas lächerlich. Was Goldmund sieht, prägt sich ihm tief ein. Er wird auf diese Erlebnisse während der Pest später in seinem Schaffen als Künstler zurückgreifen.

Das Liebesabenteuer mit Agnes stellt Goldmunds letztes Aufbäumen gegen die Mächte des Todes dar. Die beiden Liebenden werden beim zweiten Treffen überrascht. Goldmund wird gefangen gesetzt und soll sterben. Doch der Abt Johannes bzw. Narziss, der sich mit einer Delegation auf dem Schloss aufhält, wo Goldmund festgehalten wird, bekommt mit, dass sein Freund vom Tode bedroht wird und kann ihn mit Zugeständnissen an den Grafen Heinrich retten. Narziss nimmt sich des heruntergekommen Landstreichers an. Er sieht in ihm seinen geliebten Jugendfreund und ahnt, dass Goldmund inzwischen seine künstlerischen Fähigkeiten entwickelt hat.

Der Roman endet, wie gesagt, damit, dass die beiden Freunde ausführliche Berichte von ihrem gegensätzlichen Leben abgeben, sich wieder annähern und sogar die Liebe erfahren. Narziss ist es jetzt, dem klar wird, wie sehr er Goldmund liebt. Er gesteht dem schon kranken Goldmund seine bis hierher zurückgehaltenen Gefühle. Mit diesem Geständnis beseitigt er das noch immer bestehende Gefälle zwischen den beiden. Der Weg von Narziss zum Geist und der Weg von Goldmund in das Leben und zur Kunst erscheinen nun als gleichwertige, wenn auch gegensätzliche, Möglichkeiten des menschlichen Daseins. Narziss anerkennt, dass das Kunstschaffen eines Bildschnitzers wie Goldmund Ausdruck einer spirituellen Suche sein kann, die seinem Schaffen als Gelehrter und als Ordensmann sehr ähnlich ist.

Ein Wort zum Eindruck, den der Roman auf mich gemacht hat. Ich habe das Werk innerhalb von zehn Jahren zum dritten Mal gelesen. Ich tat es aus Gründen der Vorbereitung und ohne rechte Motivation, so wie ein Lehrer in der Regel den Unterricht vorbereitet. Doch dann geschah es, dass die Lektüre mich ergriffen und zum dritten Mal tief beeindruckt hat. Was mich ergriffen hat, ist die Größe und Weite dieser Seelenschilderung. Man wird als Leser in die Tiefe des Menschseins geführt. Ich werde "Narziss und Goldmund" in ein paar Jahren sicher ein viertes Mal lesen.

P.S.: Ich schreibe "Narziss" in der heutigen reformierten Rechtschreibung. Dazu habe ich mich aber erst in diesem Text durchgerungen. Meistens habe ich "Narziß" so wie Hesse geschrieben.

 

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