Der Literatur-Garten
Der Literatur-Garten von Dr. Heiner befindet sich am südlich Waldrand von Poxdorf und trägt den Namen Drei Eichen, weil das Grundstück auf drei Eichen zuläuft. Vor 17 Jahren lagen hier noch Felder der Baumschule Wagner. Heute prangt hier ein größerer Garten mit einer Abteilung Gemüse und einer zweiten Abteilung Obstbäume.
Der Garten weist mehrere Zentren auf, die für die Arbeit wichtig sind. Zu nennen sind die beiden Brunnen, einen zum Pumpen, den anderen zum Ziehen von Eimern. Die beiden Brunnen sind für das Überleben der Planzen im Sommer unabdingbar. Als es sie noch nicht gab und der Garten aus dem Wasser begossen wurde, dier im nahen Entwässerungsgraben fließt, ist es passiert, dass die Ernte verbrannt ist. Mit den beiden Brunnen, die in eine Tiefe von drei Meterns gebohrt wurden, ist der Garten unabhängig vom Regen geworden. Ein anderes Zentrum im Garten ist die Hütte, in der das Holz getrocknet und zerkleinert wird. Aber auch die Kompost-Mieten und der Meditationssitz so wie die Schießbahn hin zum Waldrand sind von größter Bedeutung für die Arbeit, die hier täglich und fast das ganze Jahr hindurch verrichtet wird.
Die Idee des Literatur- oder Lyrik-Gartens besteht darin, diese Zentren sprachlich und optisch hervorzuheben. Aus den Zentren sind im Laufe der Jahre – ich nenne die Texte einmal Sprüche, hervor gegangen. Zu Hause aufgeschrieben, überarbeitet und auf DINA 4 Bogen gedruckt geben sie eine Art Kennzeichnung des Gartens auf literarischer Ebene ab. Wer die Texte aufmerksam liest, wird ihnen sehr viel für seine eigene Arbeit abgewinnen können und den Betrachter sogar dafür gewinnen, ein eigenes Stück Erde achtsam zu bearbeiten. Die Texte nun einfach an den Brunnen zu legen oder an die Hütte zu hängen, macht wenig Sinn. Der Bezug des Textes zum Ort seiner Installation reicht nicht aus, um die Installation interessant zu machen und die nötige Aufmerksamkeit zum Lesen zu erzeugen. Die Texte werden erst interessant, wenn die Installation, von der sie getragen werden, den unmittelbaren Bezug des Textes zum Zentrum im Garten verstärkt.
Ich verdeutliche das Gemeinte an einem Textbeispiel:
jeder mensch
ein baum
ein brunnen
ein himmelreich
du musst dich nur
über den rand beugen
hineinschauen
gewahr werden
wer du im grunde bist
© johannes heiner, unterwegs im leben, poxdorf 2010, S. 50
Der Text fordert zur Selbsterkenntnis auf. Selbsterkenntnis ist eine Bedingung des inneren Wachsens. Ich richte mich auf und werde Baum, ich realisiere meine Tiefe und werde Brunnen, ich erkenne das Leben als großes Geschenk und nehme dadurch am Himmelreich teil, das Jesus Christus uns versprochen hat. Dieses Ausloten der Dimensionen des Wachtums in die Höhe, Tiefe und Zwischenmenschlichkeit kann aber nur geschehen, wenn ich mich mit dem konfrontiere, was mir selbst im Leben geschieht. Das Bild dafür ist seit der Antike das Spiegelbild. Aber es reicht nicht, nur in den Spiegel zu schauen und mir zuzulächeln wie es der Narziss tut. Ich musss in der Lage sein, auch Züge in meinem Gesicht wahrzunehmen, die mir nicht passen. Das ist die Schwierigkeit im Gewahrwerden von mir selbst. Ich neige wie jeder Mensch dazu, auszublenden, was mir nicht passt. Dann aber habe ich, wie ich meine, die Chance für inneres Wachstum verpasst.
Diese weit reichende Bedeutung wird aber vom Text nur angedeutet. Der Text lässt Freiheit, auch die Freiheit, den Text im wörtlichen Sinn misszuverstehen. Dann wird sich der Betrachter über den Rand des Brunnens beugen und unten das Spiegelbild des Himmels und seinen eigenen Kopf darin sehen. Die Übersetzungsarbeit muss der Betrachter selbst leisten. Vielleicht regt ihn die Aktion, dass er seinen Kopf über den Brunnenrand beugt, dazu an.
Ich zeige die optische Umsetzung dieser Überlegungen anhand von Fotos. Das erste Foto zeigt die Gesamtanlage. Der Brunnendeckel wurde entfernt.
Der Brunnen ist offen und lädt dazu ein, hinein zu schauen. Der Text wurde zwischen mehreren Bambusstäben aufgespannt. Man kann ihn lesen und man kann sein eigenes Spiegelbild in der Tiefe des Brunnens sehen.
Der Betrachter nähert sich dem Brunnen. Er ist neugierig. Er möchte die Zusammenhänge zwischen dem Brunnenrand und dem Text erfassen. Er tritt näher heran, liest den Text und schaut über den Rand – er sieht sich selbst!
Bei der Erstbegehung am Kunst-und Kulturtag von Poxdorf am 20. September 2015 haben die Besucher des Literatur-Gartens angeregt miteinander gesprochen.
Die Lyrik-Installation am Brunnen hat ihren Zweck erfüllt. Der Zweck besteht in der Entfaltung des Anregungspotentials der Spruch-Texte.
Johannes Heiner am 29. September 2015