Die Würde der Armen

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Bericht über einen Haiti-Abend im Poxdorfer Lesehaus mit der Gründerin der Vereins Haiti Kinder Hilfe Marie-Josée Laguerre

am Montag, 7.12.2009 um 19.30 Uhr

von Johannes Heiner 


Marie-Josée Laguerre entstammt einer armen Familie aus Cap Haitien. Ihre Mutter setzte alles daran, der Tochter das französische Abitur zu ermöglichen. Marie-Josée hat Sprachen und Literatur in Deutschland studiert. Sie hat einen Schweizer geheiratet, drei eigene Kinder aufgezogen und ein viertes Kind adoptiert. Als sie nach Haiti zurückkehrte, wurde ihr schnell klar, dass das erste Gebot wäre, die Kinder von der Straße weg zu holen.

Ihre erste „Schule“ war eine Kirche, die während der Woche frei stand. 

Später kamen Häuser hinzu, in denen die Kleinen und Großen leben konnten. Marie-Josée hat inzwischen vier Häuser gegründet, die zweihundert Kinder beherbergen. Das Jüngste ist sechs Monate, das Älteste 25 Jahre alt. Es kamen Krankenhäuser hinzu. Jetzt steht die Eröffnung einer Ambulanz, der einzigen in der Stadt, bevor.

Marie-Josée betont, dass sie diese große Arbeit nicht alleine tut. Es sind die Mitarbeiter ihres Vereins, des Haiti Kinder Hilfe in Deutschland, die Hand anlegen. Sie schuf mit dem Verein den organisatorischen Rahmen für die Gründung der Häuser, Schulen und Krankenhäuser. Der Staat von Haiti hat kein Geld, um eine Infrastruktur aufzubauen. Wenn etwas geschehen soll, kann dies nur in Privatinitiative geschehen.

Marie-Josée ist fünfzig Jahre alt, Mulattin, die weißen, schönen Zähne in ihrem Gesicht blitzen mit den leuchtenden Augen um die Wette. Sie strahlt Würde aus. Sie lacht gerne. Es gelingt ihr, die Anwesenden im Poxdorfer Lesehaus davon zu überzeugen, dass die Arbeit der Haiti Kinder Hilfe Sinn macht. Ein Anfang in Haiti, dem zweitärmsten Land der Welt, ist getan. Nun liegt es an jedem von uns, seinen eigenen Beitrag zu leisten. Sich zu überlegen: Was kann ich tun für den Zusammenhalt der Menschen auf der Welt, für den Frieden in der Welt, für das Fortbestehen des Lebens auf unserem gefährdeten Globus.

Marie-Josée sagt von sich, sie sei eine Träumerin. Sie hat die Vision eines besseren Lebens für alle.

Sie setzt sich tatkräftig für diese Vision ein und findet Unterstützung. Einige der Anwesenden unterstützen die Kinderhilfe schon seit vielen Jahren. An diesem Abend sehen sie die Gründerin dieser Organisation zum ersten Mal.

Marie-Josée macht Mut zum Grundsatz der Verschwisterung aller Menschen unabhängig von Herkunft, Hautfarbe und Religion, und zum praktisches Handeln im Sinne der Menschlichkeit. Vergleichweise leben wir im Überfluss. Jeder kann etwas tun, man braucht nur zu fragen. Manchem fällt es leichter, seinen Geldbeutel zu öffnen und finanziell zu helfen, andere stellen Kunsthandwerk her, verkaufen es und spenden den Erlös, dritte mailen den Informations-Flyer und die Homepage der Haiti Kinderhilfe (www. haitikinderhilfe.de) im Bekanntenkreis weiter. Es werden auch Menschen gesucht, die auf Haiti selbst helfen können. Es braucht dringend Lehrer, Ärzte und Handwerker, die in den Schulen, Krankenhäusern und Werkstätten für einige Monate mitarbeiten und nicht zuletzt werden Menschen gesucht, die für die Armen auf Haiti beten. Und damit das nicht belächelt wird, erzählt Marie-Josée, die die Kraft für ihre Arbeit aus ihrem christlichen Glauben schöpft: Wie war das noch, als die Ambulanz gegründet werden sollte?

„Die Slum-Mütter sagten zu mir, wir beten dafür, du beschaffst das Geld. Kurz darauf war das Geld da.“

Eine Frau, die nichts davon wusste, aber gefragt hatte, stellte ihre Lebensversicherung zur Verfügung und die Ambulanz konnte gegründet werden, berichtet Marie-Josée.

Die Literatur, die wir im zweiten Teil des Abends besprechen, passt sehr gut, weil sie, ähnlich wie Marie-Josée, diesen positiven Geist atmet. Es handelt sich um den Roman „Hüter über den Tau“ des haitianischen Dichters Jacques Roumain (Einzelheiten über Leben und Werk in Wikipedia). Der Roman wurde von Eva Klemperer aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt, 1947 im Osten und 1950 im Westen Deutschlands veröffentlicht. Jede Seite in diesem Buch ist kostbar und wahr, sagt Marie-Josée. Ich kann ihr nur beipflichten. Die Sprache ist voller Bilder, die verzaubern. Das Elend ist der Ausgangspunkt, der Höhepunkt, wie die Bauern es dank Manuel, dem Helden, schaffen, die verfeindeten Clans zu einigen und mit gemeinsamer Kraft eine Wasserquelle für das vertrocknete Dorf zu erschließen. Der Dichter Jacques Roumain kannte aus eigenem leidvollen Erleben, wovon er schrieb. Er verbrachte viele Jahre seines Lebens in den Gefängnissen von Haiti. Er wurde verhört und gefoltert, weil er den Widerstand der Armen organisiert hat. Das Buch ist im Internet für Preise ab 2.50 Euro zu haben. Ich empfehle die West-Ausgabe, weil sie im Anhang einen Essay von Ludwig Renn enthält.

Es war ein Leseabend im Poxdorfer Lesehaus, der für viele von uns ein neues Bewusstsein im Umgang mit der Armut geschaffen hat. Wie Marie-Josée sagte: Es gibt viele Abstufungen der Armut und man sollte sie auf Augenhöhe und mit offenem Herzen zur Kenntnis nehmen. Dann könne man sogar von den Armen lernen, die ihr Überleben mit bewundernswürdigem Erfindergeist immer wieder von neuem sichern.

Am selben Abend wurde die Klimakonferenz in Kopenhagen eröffnet. Ob sich da auch eine Marie-Josée eingefunden hat, die den Menschen Vertrauen einflößt und Mut macht zum Geben?

 

Kontakt:

Haiti Kinder Hilfe e.V

Telefon: 08238 - 508485

E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist gegen Spambots geschützt! JavaScript muss aktiviert werden, damit sie angezeigt werden kann.

Internet: www.haitikinderhilfe.de

Spenden: Konto 1 022 180, BLZ 700 905 00, Sparda Bank München e.G.

 

Lesetipp von Johannes Heiner: Roman „Hüter über den Tau“ des haitianischen Dichters Jacques Roumain, im Internet und in Antiquariaten erhältlich.