Der erste Brief

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Liebe Freundin, lieber Freund der Dichtung,

 

ich habe mir für die folgenden Briefe eine gewisse Struktur überlegt: Erst führe ich in die Elegie ein, dann gehe ich die Strophen durch und am Schluss versuche ich, eine kurze Zusammenfassung meiner Eindrücke zu geben. Du wirst diese Dreiteilung in jedem der nun folgenden Briefe wieder finden.

Die erste Elegie besteht aus fünf Strophen von unterschiedlicher Länge. Innerhalb der langen Strophen gibt es manchmal einen Absatz. Die Strophen sind optisch voneinander durch einen Abstand getrennt. Dieser Abstand verkörpert in meinen Augen die Stille, aus der heraus der Dichter spricht und in welche er immer wieder eintaucht, um sich zu besinnen und seine Stimme auf den neuen Gesang vorzubereiten.

Die erste Elegie setzt zu einer Untersuchung unseres Daseins als einem Ganzen an und beleuchtet die Bereiche des Engels, der Natur, der „Liebenden und der Toten. Der Sänger der Elegie setzt immer wieder zur Preisung unseres Daseins an: „Beginn/ immer von neuem die nie zu erreichende Preisung“. Er bleibt jedoch mitten in der Geste der Preisung stecken. Es ist wenig, was der Untersuchung standhält. „Bleiben ist nirgends.“

Ich spreche gern vom „Sänger“ der Elegie. Ich stelle ihn mir als ein sehr menschliches Wesen vor, das von tiefer Trauer über die Unwirklichkeit unserer menschlichen Existenz erfüllt ist. In dieser Trauer drückt sich die Not einer Seele aus, die sucht und nicht findet. Es ist, wie schon dargelegt, die Existenz des modernen Menschen in seiner Einsamkeit und Gottesferne, die den Ausgangspunkt für die „Untersuchung“ des menschlichen Daseins durch den Sänger der Elegie bildet. Die Klage des Dichters Rilke und seines Sprachrohrs, des Sängers der Elegie, durchzieht alle Bereiche unseres Lebens. Bei den alten Griechen wurde ein solcher Trauergesang ursprünglich von der Flöte begleitet. Vielleicht könnte man sich die Darbietung des Sängers als eine Klage vorstellen, die von einer solchen Musik begleitet würde. Es ist deshalb wohl kein Zufall, dass der Sänger am Ende der ersten Elegie auf die Verbindung der Kunst mit der Musik zu sprechen kommt.

Dies war meine Einleitung. Es folgen meine Bemerkungen zu den einzelnen Strophen. Ich lese den Text Rilkes und halte fest, was mir dabei einfällt. Durch das Schreiben entsteht in mir ein Prozess der Auseinandersetzung, des Denkens, Fühlens und immer wieder neu Wahrnehmens, was der Dichter uns mit seinen Worten geschenkt hat. Es gehört zu diesem Prozess dazu, dass ich mir eingestehe, was ich nicht verstehe. Dies hilft mir später, darauf zurückzukommen und das Verständnis zu vertiefen.

 

Die erste Strophe beginnt mit einem Aufschrei. Auch wenn dieser Schrei in den Konjunktiv gesetzt und sprachlich sozusagen zurückgenommen wurde, ist er da und muss erst einmal gehört werden. Am Anfang der DEL also ein Schrei. Und das Hören auf ihn. Was für einen Schrei hören wir denn?

„Und so verhalt ich mich denn und verschlucke den Lockruf/ dunkelen Schluchzens. Ach wen vermögen wir denn zu brauchen?“. Jetzt erst ist er zu Ende und geht in die Klage über.

Ich finde es schade, wenn Menschen, die diese Elegie lesen, sich gleich auf den „Engel“ stürzen und wissen wollen, wen der Dichter mit dem „Engel“ gemeint hat und was der „Engel“ mit den Elegien zu tun hat, und die Kommentatoren auf den Plan treten und ihr umfangreiches Wissen über den Engel im Christentum im Allgemeinen und bei Rilke im Besonderen und dass es „kein“ christlicher Engel sei, der hier auftrete, ausbreiten. Ich finde, damit ist der Einstieg verpasst. Man starrt auf den „dicken Brocken“, den der Dichter seinen Lesern hinhält. Ich würde ihn gerne die Engelsfalle nennen. Die „Engel“ werden uns noch bis ans Ende unserer Wanderung durch die DEL begleiten. Wir können gar nicht anders, als sie sehr genau wahrzunehmen. Aber nicht hier und jetzt. Lassen wir ihn noch eine Weile sich im Geheimnis verborgen halten. Wie der Dichter sagt: Er ist schrecklich. Das ist im Wortsinn zu nehmen. Er erfüllt die ihn umgeben mit Schrecken. Das Erschrecken ist aber schon vor dem Engel da. Es ist der Urschrecken des Menschen über sich selbst und sein Leben: Wie einsam bin ich. Niemand versteht mich. Niemand hört mich. An wen soll ich mich wenden? Dann erst stehen die Engel aus der Anderwelt da. Sie verkörpern das Äußerste, mit dem wir Menschen Rilkes Weltbild zufolge zu kommunizieren vermögen. Danach gibt es nichts mehr. Die Leere, wie der Dichter sie in der ersten Elegie zwei Mal nennt, oder ein anderes Wort dafür: Die Nacht. „Wem bliebe sie nicht, die ersehnte, sanft enttäuschende, welche dem einzelnen Herzen/ mühsam bevorsteht“. Es handelt sich um die Nacht der Seele, wie der Mystiker Johannes vom Kreuz sie getauft hat.

Doch damit sind wir vorausgeeilt. Die Frage war, was für ein Schrei da ausgestoßen und zurückgenommen wird. Ein lautloser Schrei, möchte ich sagen und ein Schrei der Verzweiflung. Von einem Menschen ausgestoßen, der in den Abgrund schaut.

Selbst die Liebe fällt unter dieses Verdikt. Schau sie Dir nur an, die Liebenden, sagt er. „Sie verdecken sich nur mit einander ihr Los“. Ihr Los ist es, die Nacht der Seele zu erfahren. Keinem Menschen bleibt sie erspart. Das Leben sorgt dafür, dass sie jeden ereilt. Die Anlässe mögen verschieden sein, Krankheit, Tod, Sorge, Kummer… Der Punkt kommt immer. Und dann sei vorbereitet. Es gibt kein Entweichen. Der Dichter fügt an dieser Stelle geheimnisvoll hinzu: Vielleicht, wenn Du vorbereitet bist und dein Leiden ohne Illusionen annimmst, dass dann „die Vögel die erweiterte Luft fühlen mit innigerm Flug“. Vielleicht erwächst Dir dann eine neue Sensibilität, die Dich fähig macht, aus dem Leid eine neue Kraft zu schöpfen. Oder, wie der Dichter es in der fünften Strophe ausgedrückt hat: Dass „aus Trauer so oft seliger Fortschritt entspringt“.

Damit deutet die erste Elegie einen Lichtstreifen am Horizont des Abgrundes an. Wir befinden uns aber noch immer im Zustand der Nacht und Finsternis. Kehren wir zum Anfang der Elegie, zum Engel zurück. Wir gelangen über den Weg des Engels zu einer ähnlichen Auslegung. Sagen wir, dass der Engel ein übermenschliches Wesen ist, das die Kraft des unsichtbaren Geistes verkörpert. Der Engel hat Zugang zum Absoluten oder ist das Absolute. Sein Blick vernichtet alles, was nicht wirklichen Bestand hat. Er steht für den Blick sub specie aeternitatis (der Ewigkeit) auf unser Dasein als Menschen. Aus diesem Grunde spendet er einerseits Trost, dass es dieses Reich des Unsichtbaren und Geistigen gibt. Auf der anderen Seite ist er eine zu fürchtende Macht für unsere Lebenslügen. Er zerstört unsere Illusionen, mit denen wir uns aufrecht erhalten.

Unter dem – schrecklichen – Blick des Engels zerrinnen die Dinge, an denen wir Halt suchen. Auch die Liebenden bilden davon keine Ausnahme: „Ach, sie verdecken sich nur mit einander ihr Los“. Ist das Los der Liebenden denn die Erfahrung der Leere? Dass die Leere anfängt, wo die Liebe endet?

Du siehst, wie ich es auch anstelle, ich komme stets zu ähnlichen Ergebnissen:

 

Es bleibt uns vielleicht

irgend ein Baum an dem Abhang, dass wir ihn täglich

wiedersähen; es bleibt uns die Straße von gestern

und das verzogene Treusein einer Gewohnheit,

der es bei uns gefiel, und so blieb sie und ging nicht.

 

In der zweiten Strophe ist es wieder der Bereich der Natur, der der Nacht der Seele widersteht. Von ihr in einem umfassenden Sinne kommt dem Dichter der „Auftrag“ zum Schreiben zu. Zu „Baum“ (1.Strophe) gesellen sich nun der „Frühling“ und die „Sterne“. Aber es ist nicht nur die Natur. Sie bildet keine abgesonderte „heile Welt“. Der Sänger spricht von einer „Woge von Vergangenem“, welche „herankam“ und von einer „Geige“, die sich „am geöffneten Fenster hingab“, „als du vorbeikamst“. Das Bild von der „Woge“ wird er unter den Stichwörtern „Helden“ und „früh verstorbenenen Liebenden“ – der Name der Gaspara Stampa steht dafür –, wieder aufnehmen und erweitern.

Doch zunächst leitet der Dichter eine Selbstbefragung, vielleicht auch Selbstprüfung ein: „Aber bewältigtest du“ diesen Auftrag, so fragt er. Und er führt aus, dass seine Wahrnehmung der Dinge durch die Erwartung, dass sich ihm eine Geliebte zeigen werde, eingeschränkt war. Er tröstet sich mit der Aufforderung, „die Liebenden“ zu singen, falls ihn die Sehnsucht nach der Geliebten überfallen sollte. Diese Möglichkeit bleibt ihm auch dann offen, wenn er sich von der Erwartung auf eine Geliebte befreit hat. „Beginn immer von neuem die nie zu erreichende Preisung“ – an dieser Stelle erinnert er sich – die „Woge von Vergangenem“ nimmt Gestalt an – an den „Helden“. Der Held, so sagt diese Stelle aus, ist ein Mensch, „der sich selbst erhält“. Er braucht keine Geliebte, um den Sinn des Lebens zu begründen. Er braucht vermutlich auch nicht Gott. Er besteht aus sich selbst, erschafft sich aus der Leere von Augenblick zu Augenblick neu. „Selbst der Untergang war/ ihm nur ein Vorwand zu sein: seine letzte Geburt“. Das sind deutliche Worte. Sie erinnern mich an Nietzsches so oft missverstandenen „Übermenschen“, der ein erster Entwurf für das neue Idealbild des modernen Menschen war. Bei Nietzsche wie bei Rilke konstituiert er sich aus sich selbst heraus.

Der Held unterscheidet sich für den Dichter der Elegien von allen anderen Menschen durch sein Streben nach Sein. Es kann in den Augen schon des Dichters des „Stundenbuches“ ein einfacher, „armer“ Mensch sein, der diesen Zustand erreicht oder gerade nicht erreicht. Zu sein, wirklich da zu sein, ist das Kriterium. Zu erreichen durch den Tod. Wenn der Verzicht auf den Liebhaber wie bei der Gaspara Stampa zu diesem Ergebnis führt, kann der Dichter dies nur gut heißen. Es war bei der Gaspara Stampa der Verzicht auf den Liebhaber, aber nicht der Verzicht auf die Liebe. An diese Unterscheidung erinnern die letzten Verse der zweiten Strophe:

 

Ist es nicht Zeit, dass wir liebend

uns vom Geliebten befreien und es bebend bestehn:

wie der Pfeil die Sehne besteht, um gesammelt im Absprung

mehr zu sein als er selbst. Denn Bleiben ist nirgends. (Hervorhebung von RMR)

 

Es geht um das Loslassen des „Habens“, wie Erich Fromm alle illusionären Tendenzen des Menschen, sich Sicherheit erschaffen zu wollen, genannt hat. Die Selbstprüfung des Dichters hat ergeben, dass das Leben auf den Tod ausgerichtet ist und in die Leere führt. Dies war es, was die erste Strophe angestoßen hat. Auch die Liebe bietet keinen Ausweg. Das Bild des Pfeils im Abschuss, der „mehr“ sei als er selbst, verweist dabei auf das neue Paradigma eines größeren Daseins, an dem sowohl der Held als auch die Liebende teilhaben. Der Hinweis darauf erscheint mir genau so wichtig zu sein wie die betrübliche Bilanz des „Bleiben ist nirgends“. Beide Aussagen stehen neben einander. Du hast die Wahl. 

 

Die dritte Strophe leitet in den Bereich der jungen Toten über. „Aber das Wehende höre,/ die ununterbrochene Nachricht, die aus Stille sich bildet./ Es rauscht jetzt von jenen jungen Toten zu dir“. Der Tod von Paula Modersohn-Becker, mit welcher er eng befreundet war und der Tod des Grafen von Kalckreuth, den er nicht persönlich gekannt hat, sind Beispiele für die „jungen Toten“. Rilke hat ihnen mit je einem „Requiem“ im Jahre 1908 ein literarisches Denkmal gesetzt.

Interessant ist, wie der Dichter diese Überleitung gestaltet. Vom „Sehen“ des fliegenden Pfeils wechselt er zum Hören von Stimmen. Und er ermahnt sich, dieses Hören aus der Stille ernst zu nehmen. Die „Heiligen“ hätten den „riesigen Ruf“, der sie hätte vom „Boden aufheben“ müssen, nicht gehört. Sie „knieten weiter“, als ob nicht Gott zu ihnen gesprochen hätte. In der heutigen Zeit geht es allerdings nicht um den Anruf Gottes, sondern um das Hören der Stille. In ihr bildet sich zum Beispiel die Nachricht von den jungen Toten heraus. Und der Dichter verweist auf seine Kirchenbesuche zu Rom und Neapel. Er nennt sogar den Namen einer Kirche in Venedig und dass es die Toten-Inschriften dort waren, die ihn berührt haben. Er fragt sich, warum die jungen Toten zu ihm sprechen. Er formuliert seinen „Auftrag“, dem er ja schon im „Requiem“ nachgekommen ist, sehr vorsichtig. Er wolle „des Unrechts Anschein abtun“. Solange die Menschen glauben, dass es Unrecht war, dass sie aus dem Leben geschieden sind: Paula bei der Geburt ihres einzigen Kindes, Wolf aus Verzweiflung, halten sie die Toten unwillkürlich fest. Es war der Versuch der beiden „Requien“, dieses zu ändern. Und es ist jetzt ein neuer Versuch, der vom Dichter der Elegien mit der vierten Strophe gewagt wird.

 

Die vierte Strophe versetzt uns noch tiefer in die Perspektive der jungen Toten hinein: „Freilich ist es seltsam, die Erde nicht mehr zu bewohnen...“ Das „seltsam“ folgt noch zwei Mal. Es mündet in die Feststellung ein – immer noch aus der Sichtweise der jungen Toten:

„Und das Totsein ist mühsam

und voller Nachholn, daß man allmählich ein wenig

Ewigkeit spürt“. 

Das Totsein ist mühsam“, damit haben wir ein Stichwort für unsere Frage erhalten, wie denn das Leben der Toten vorzustellen sei. Der Tod stellt sich dem Dichter als ein Entsagen von alldem dar, was das Leben ausgezeichnet hat. Tote müssen die Rosen und andere lieb gewonnenen Dinge, welche die Bedeutung von Zukunft hatten, entbehren. Sie müssen den „eigenen Namen weglassen wie ein zerbrochenes Spielzeug“ und können ihre „Wünsche nicht weiterwünschen“. Sie sehen jetzt als Tote „alles, was sich bezog, so lose im Raum flattern“. Die Toten erreichen den Zustand des Seins und der Freiheit. Vorausgesetzt, dass die Lebenden sie gehen lassen und nicht an ihnen festhalten. Bei den Lebenden tritt nämlich „der Fehler“ auf, „dass sie zu stark unterscheiden“ nämlich zwischen Leben und Tod und den Tod aus dem Leben heraushalten wollen. Engel machten keine Unterscheidungen, die begrenzen und ausschließen würden. Sie sind mit der „ewigen Strömung“ verbunden, die durch Leben und Tod hindurchgeht. In dieser Strömung haben wir uns nach Auffassung des Dichters auch die jungen Toten vorzustellen.

Engel (sagt man) wüssten oft nicht, ob sie unter

Lebenden gehen oder Toten.

Die Erwähnung des Engels, dem wir ja gleich zu Beginn der Elegie schon begegnet sind, deutet auf das Einleiten des Schlusses hin. Rilke liebt es, am Ende wieder auf den Anfang zurück zu kommen und die dichterische Gestaltung dadurch zu schließen. Die fünfte Strophe, die diese Elegie beendet, stellt zunächst einmal klar, dass die Toten uns nicht brauchen. Wir, die Lebenden aber scheinen sie zu brauchen, weil wir ohne „so große Geheimnisse“ wie die des Lebens nach dem Tod nicht leben könnten. Der Dichter hat ja aufgezeigt, dass die Menschen die Toten gerne festhalten und dies ihre Ruhe störe. Jetzt zeigt er auf, dass es die Sucht nach Geheimnissen sei, die die Lebenden leitet. Allerdings gesteht der Dichter ein, dass aus der tief empfunden Trauer über die Toten „so oft seliger Fortschritt“ entspringen würde.

 

Der Schluss der Elegie wird von einer groß angelegten rhetorischen Frage gebildet. In diese Frage erscheint der Name Linos eingebettet. Es ist der Name eines griechischen Jünglings. Als er sterben musste, schlug die Leere, die sein Tod hinterließ, unter ihm zusammen, geriet in Schwingung, tönte und wurde zu einem Klagelied. Mit dieser Deutung des Ursprungs der Musik verdeutlicht Rilke am Beispiel, was er weiter oben allgemein formuliert hatte, dass „aus Trauer so oft seliger Fortschritt entspringt“. Aus der tief empfundenen Trauer entspringt die Klage des Dichters, „die uns jetzt hinreißt und tröstet und hilft“. Der Sänger der Elegie deutet damit die Aufgabe des Kunst an: Zu begeistern, zu trösten und zu helfen.

 

Mit diesem Hinweis schließt die erste Elegie ihre Tore. Der nach innen gerichtete, lautlose Schrei des Anfangs ist auch jetzt noch nicht verhallt. Er wirkt nach und lässt uns mit bedenklichen Gesichtern zurück. Doch hat der Verlauf der Elegie in den fünf Strophen, so sehe ich es, zumindest zwei positive Hinweise gebracht:

1. Im Begriff des „Helden“ wird ein Ideal angedeutet, das darauf beruht, dass die Angst vor dem Tod überwunden wird. Wir werden in der sechsten Elegie darauf ausführlich zurück kommen.

2. Mit dem Hinweis auf den Ursprung der Musik in der Klage – es ist ja auch der Ursprung der Klagelieder Rilkes – hat der Dichter einen neuen Auftrag für die moderne Kunst angedeutet. Sie kann sich nicht mehr mit dem Schein des Schönen begnügen, wie es noch die klassische Kunst tat. „Denn das Schöne ist nichts/ als des Schrecklichen Anfang…“, so hieß es am Anfang dieser Elegie. Dieser Satz beschreibt nicht nur das Erschrecken des Menschen vor dem Engel. Er enthält ein Kunstprogramm. Das moderne Leben in der Großstadt birgt so viele Schrecken – Rilke hat sie im „Buch von der Armut und vom Tode“ eingehend geschildert. Die moderne Kunst braucht deshalb eine neue Orientierung. Sie beginnt mit einer Neubewertung der Schattenseite des Lebens.

Liebe Freundin, lieber Freund der Dichtung, mit dieser Zusammenfassung bin ich an das Ende meines ersten Briefes gelangt. Ich wünsche Dir eine fruchtbare Zeit mit Rilkes Dichtung.

Mit herzlichen Grüßen aus Poxdorf.

© 2011 Johannes Heiner