Hermann Hesse und Japan
Eine Zusammenfassung meines Vortrags in Bamberg vom 16.07.2012
Hermann Hesse wurde im Umfeld des christlichen Pietismus nach strengen Regeln zum Glauben an den einen Gott erzogen. Sein Widerstand gegen den Glauben und gegen seine Eltern wuchs mit seinem Älterwerden bis hin zum Selbstmordversuch mit 17 Jahren. Er wandte sich vom christlichen Glauben ab und dem Geist des Ostens zu. Er studierte die heiligen Schriften der Inder, die Weisheitsbücher der Chinesen und schließlich, angeregt durch seinen japanischen Vetter Wilhelm Gundert, „Meister Yüan-wu´s Niederschrift von der Smaragdenen Felswand“.
Wie wir wissen, gewann Hesse ein sehr positives Verhältnis zur Kultur Asiens, bereiste Cylon und Sumatra mit dem Schiff und fuhr fort, wichtige Neuerscheinungen auf dem Gebiet der Indologie, Sinologie und Japanologie zu besprechen. Der Buddhismus wurde zu seiner neuen geistigen Heimat. Er war inzwischen so weit in den eingedrungen, dass er sich getraute konnte, die Geschichte der Erleuchtung des Siddhartha zu erzählen. Den 2. Teil des „Siddhartha“, um den er hart ringen musste, widmete er dem japanischen Vetter. Offensichtlich war Wilhelm Gundert damals schon ein enger Vertrauter Hesses geworden und half ihm, den buddhistischen Hintergrund der „indischen Erzählung“ zu verstehen. Neben Carl Gustav Jung, bei dem er damals in Therapie war, ist also am Entstehung der „indischen Erzählung auch der japanische Vetter beteiligt gewesen. Den Begriff des „Nirwana“ findet man schon 1918 in der Erzählung „Wanderung“. Im „Siddhartha“ bezeichnet er die Erleuchung Siddharthas nach den gängigen Begriffen des Buddhismus als die Erfahrung der Einheit allen Seins.
Es folgten die Jahre der Meinungsverschiedenheit mit dem Vetter. Wilhelm Gundert war 1934 der Nazi-Partei beigetreten. Er war in offizieller Funktion für den Hitler-Staat als Leiter des Kutlurinstituts in Tokio bis 1936 tätig und wurde im gleichen Jahr zum Professor für Japanologie in Hamburg berufen. Der Vetter wurde 1945 entnatzifiziert. Hesse nahm den Kontakt mit ihm 1954 wieder auf. Es folgte eine rasche Annäherung, die beiden waren sich von Kindheit an vertraut. Gundert ließ Hesse in den folgenden Jahren an der Entstehung seiner Übersetzung der „Smaragdenen Felswand“ teilnehmen. Diese Schrift ist zwar chinesicher Herkunft, wurde aber in den Zen-Klöstern Japans als eines der Hauptwerke des Zen gelesen. 1960 erschien der erste Band von Gunderts Übersetzung. Hesse war voll von Bewunderung und lobte das epochale Werk in mehreren öffentlichen Äußerungen. Es falle zwar schwer, die Aussprüche und Handlungen der ZEN-Meister zu verstehen. Aber es lohne sich, diese Arbeit zu leisten, auch wenn „die Schale rauh“ sei, das Innere stecke „voller Honig“, man müsse nur Geduld aufbringen.
Hesse hatte schon immer viel von Japan und von den Japanern gehalten. Es gibt zahlreiche Briefe, die seine Wertschätzung belegen. Er wurde und wird in Japan viel gelesen. Im „Brief an einen jungen Kollegen in Japan“ von 1947 wies Hesse ausdrücklich auf das Studium der ZEN-Tradition hin. Er schrieb: „Vor Zen habe ich einen großen Respekt, einen weit größeren als vor Ihren etwas europäisch illuminierten Idealen. Zen ist, das wissen Sie besser als ich, eine der wunderbarsten Schulen für Geist und Herz, wir haben hier im Abendland nur ganz wenige Traditionen, die sich mit ihm vergleichen dürften, und sie sind bei uns weniger wohlerhalten geblieben.“ (Brief an einen jungen Kollegen in Japan, 1947, SW Bd.12, S.546)
Als Gunderts Arbeit an der Übersetzung der von Yüan-Li gesammelten ZEN-Sprüche voranschritt und er Hesse Einblick gewährte, wurde Hesses Begeisterung riesig. Er fühlte, dass er endlich ans Ziel seines Interesses gelangte. Der Vetter besuchte ihn in Montagnola und las ihm aus dem Werk vor. Hesses Begeisterung wuchs immer weiter und schlug sich in mehreren poetischen Texten nieder, mit denen er an das Werk Gunderts anschloss.
- Er schrieb 1958 das Gedicht „Uralte Buddha-Figur“, mit dem er seine Studien des Buddhismus, die er ein Leben lang betrieben hatte, zusammenfasste.
- Er schrieb 1960, zwei Jahre vor seinem Tod, drei Gedichte, die das Verhältnis des ZEN-Schülers zum Meister ansprechen; darunter befindet sich „Der erhobene Finger“. Dieser Text geht auf „das erste Beispiel“ in der „Niederschrift“ zurück.
- Er veröffentlichte 1961 einen posthumen Brief Josef Knechts an Carlo Ferromonte, in welchem er auf die in Kastalien angeblich grassierende Mode der ZEN-Philosophie einging.
- Er erzählt im selben Brief die Geschichte von Yüns Erleuchtung nach.
Eine Besonderheit in Hesses Aneignung der Kulturen des Fernen Ostens stellt die große Toleranz dar, mit der er sein Wissen z.B. über das Nirwana, vertrat. Man wird dies erst erkennen, wenn man sich vergegenwärtigt, wie der Vater Hesses und seine Mutter mit „dem Indischen“ umgingen. Sie kannten die Kultur und Sprache des Malayam. Sie lasen die Schriften und sangen die Lieder der Inder. Aber sie setzen ihren eigenen Glauben höher an und ließen keine Zweifel zu. An diesem Punkt beginnt der geistige Lebensweg Hermann Hesses. Er wollte den eigenen Glauben nicht absolut setzen. Genauso wenig setzte er seine budhistischen Überzeugung absolut. Für ihn waren Gautama Buddha und Jesus Christus Verkörperungen der einen göttlichen Energie und jeder suchende Mensch sollte seine eigene Wahrheit finden.
Blickt man von hier aus zurück auf „Das Glasperlenspiel“, wird man so manches in dem Werk entdecken, das wie aus der „Smaragdenen Felswand“ entnommen scheint. Hesse begeisterte sich im hohen Alter deshalb so sehr für die „Niederschrift“, weil er hier fand, wonach er selbst so lange gesucht hatte. Ohne im Einzelnen darauf einzugehen, möchte ich bei der Begegnung Josef Knechts mit dem Alten im Bambusgehölz, festhalten, dass der Spruch von den Schuhen, die man bereit zu sein habe, wieder anzuziehen, so klingt, als sei er auf dem Boden der Zen-Kultur gewachsen. Der Spruch des sterbenden Altmusikmeisters. „Du ermüdest dich, Josef“, verweist auf dieselbe Kultur der Stille. Schließlich erscheint der offene Schluss in einem anderen Licht, wenn man vom Gedanken des Eingehens in das Nirwana ausgeht.
© Johannes Heiner 2012