Forum für Weisheit
Das Forum für Weisheit dient dem Auffinden von Weisheit im Innern des Menschen. Es kann nicht sein, dass wir sterben, ohne mit dem Denken den Himmel erreicht zu haben. Weisheit soll individuell formuliert und dann im Internet Verbreitung finden.
Weisheit kann vor Irrtümern in der Lebensführung bewahren. Sie kann vielleicht sogar den „richtigen“ Weg ins Leben weisen und dadurch zu Zufriedenheit und Glück führen.
Aber anders als in früheren Kulturen, die eine Weisheitskultur hatten, ist Weisheit heute nicht mehr definiert und kein Teil mehr der politischen Kultur. Die Werte haben sich verändert. Im Grunde muss jeder Mensch, der Interesse an Erkenntnis hat, Weisheit für sich neu erfinden.
Weisheit ist weder an Alter, noch an weiße Haare und schon gar nicht an Philosophie gebunden. Weisheit ist Liebe zum Leben als einem Ganzen, das sich wie ein Fluss von der Quelle bis ins Meer ergießt. Die Begegnung mit dem Tod ist eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Einsicht und Weisheit.
Ich befinde mich auf der Suche nach meiner eigenen Weisheit und würde mich freuen, mit Jedem und Jeder, die es ernst meinen, in Austausch zu treten. Bitte fügt Euren Statements den vollen Namen und das Alter an. Ich verspreche, auf Eure E-Mails zu antworten.
Dr. Johannes Heiner (heiner-poxdorf[at]t-online[punkt]de)
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Der „weise Mensch" in Hermann Hesses „Siddhartha“ und „Glasperlenspiel“
Eintrag vom 23. Juli 2017
Mein Angebot, sich über Weisheit auszutauschen, hat ein Jahr nach meinem Statement wenig Resonanz gefunden. Hältst du, die du dies liest und die Stirn runzelst, das Thema für zu hoch? Zu philosophisch, zu gefährlich, sich dazu zu äußern?
Also erzähle ich Dir von meiner Beschäftigung mit dem „weisen Menschen“ im Werk von Hermann Hesse. Ob Hesse ein weiser Mensch war, das kann ich nicht beurteilen. Aber was er im „Siddhartha“ und im „Glasperlenspiel“ an Charakterfiguren präsentiert, die ich als „weise Menschen“ bezeichnen würde, darüber lässt sich debattieren.
Das Thema geht mir seit gut vier Wochen im Kopf herum. Ich fasse meine Gedanken noch einmal gezielt zusammen, damit sie auch für Dich handhabbar werden.
Weisheit lebt nicht von der Theorie, sondern von der Anschauung und Begegnung. Seitdem ich mich damit beschäftige, schaue ich viel aufmerksamer in die Gesichter der Menschen, denen ich beim Einkaufen und auf der Straße begegne. Manchmal würde ich Denjenigen und Diejenige gerne anhalten und meinen Foto zücken. Aber ich unterlasse es aus Respekt vor diesen Menschen. Sie wissen es wahrscheinlich nicht, dass ich sie für weise halten könnte.
Ich komme damit auf den
1. Punkt: Der Weise weiß es nicht, dass er weise ist. Sollte er es wissen, wird er es nicht an die „große Glocke“ hängen. Es würde Verwirrung, Neid und vielleicht sogar Ärger hervorrufen.
2. Weise zu sein, lernt man nicht aus Büchern, sondern aus der Meisterung des eigenen Lebens. Der suchende Mensch kommt irgendwann im Sein an, nicht im Denken. Irgendwann hat er genug vom Pendeln zwischen den Extremen. Hesse würde hier das Wort „Pole“ benützen. Er wird nach einer dritten Kraft suchen, die ihn in die Zeitlosigkeit, Entspannung und Ruhe befördert. Sobald er diese Kraft entdeckt hat, wird er sie üben. Gelassenheit kann dann ein Ergebnis sein. Man hat sich endlich auf sich selbst und in sich selbst einlassen. Freundlichkeit und Heiterkeit sind weitere „Errungenschaften“ des weise gewordenen Menschen. Hesse lässt sich im Glasperlenspiel sehr ausführlich über das Wesen der Heiterkeit aus. Es war ihm, der so sehr von allem Möglichen geplagt wurde, ein großes Anliegen, trotz der vielen Hindernisse wie Selbstmitleid und zu großer Ernsthaftigkeit, sich davon zu lösen und in eine gelöste Seelenverfassung zu gelangen.
3. Hermann Hesse hebt in seinen Darstellungen von Vasudeva, des Altmusikmeisters, der Wüstenväter usw. die Fähigkeit des Zuhörenkönnens hervor. Es gibt ein oberflächliches Zuhören, mit dem ich als Ego herausgreife, was mir passt. Und es gibt ein selbstloses Zuhören, mit dem ich mich wirklich einlasse. Ein Künstler voll von eigenen Ideen wird sich schwer tun, selbstlos zuzuhören. Ein Philosoph, der die Welt in ein neues Gedankensystem gießen möchte, nicht weniger. Aber ein Mensch, der gelernt hat, auf die Stille zu lauschen und Gott zuzuhören, der wird es als ein Geschenk erleben, wenn ein anderer Mensch sich wirklich öffnet. Dann wird aus dem Zuhören ein Segen.
4. Von „Erleuchtung“ und „Erlösung“ möchte ich nicht reden. Sie fallen unter die Rubrik „die Gnade Gottes erleben“. Ich kann sie nicht mit meinem Willen bewirken. Der weise Mensch nimmt sie dankbar an, wenn sie ihn erreichen. Er integriert sie in sein Leben von jedem Tag. In diesem Leben ist immer auch ein Platz für das Warten auf ein Wunder.
Johannes Heiner am Sonntag, den 23. Juli 2017