Narziss und Goldmund

Narziss und Goldmund - 3.4. Selbstverwirklichung

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Es entsteht eine ähnliche Situation wie während der paar Tage, die er in der Bischofsstadt verbracht hat und Tag und Nacht aufgezeichnet hat, was er während seiner Wanderschaft durch das von der Pest verwüstete Land erlebt hat. Doch nun hat er einen festen Platz erhalten und die für das Bildhauen nötigen Arbeitsinstrumente. Er hat sogar einen Gehilfen, an den er sein Können und Wissen weitergeben kann.

Unter diesen Bedingungen kann Goldmund sich nun endlich auch als Künstler selbst verwirklichen. Es finden viele Gespräche mit Narziss statt. In einem dieser Gespräche geht es um die Selbstverwirklichung des Künstlers im Unterschied zu dem des Gelehrten. Ein Künstler wie Goldmund, der es schafft, mit seinen Händen das Leben zu gestalten, die inneren Bilder seiner Seele nach außen zu bringen, gewinnt durch dieses Schaffen Anteil am göttlichen Sein. Der Erzähler formuliert es vorsichtig. Der hellhörig gewordene Leser erkennt in diesem Bekenntnis von Narziss die eigene Position von Hermann Hesse. Ich zitiere die Stelle als Beleg:

"Das vollkommene Sein ist Gott. ...Wir aber sind vergänglich, wir sind werdend, wir sind Möglichkeiten, es gibt für uns keine Vollkommenheit, kein völliges Sein. Dort aber, wo wir von der Potenz zur Tat, von der Möglichkeit zur Verwirklichung schreiten, haben wir teil am wahren Sein, werden dem Vollkommenen und Göttlichen um einen Grad ähnlicher. Das heißt sich verwirklichen." (S. 296)8

Der letzte Abschnitt im Lebenslauf Goldmunds als Künstler könnte diese Überschrift tragen: Die Selbstverwirklichung von Goldmund als Künstler. Goldmund hat einen langen Weg bis zu diesem Moment zurückgelegt. Jetzt im reifen Alter wird ihm die Gnade zuteil, die Ernst aus seinem reichen Leben einzubringen. Der verlorene Sohn ist zurückgekehrt und kann nun zeigen, was das Leben aus ihm gemacht hat. Sein Wirken wird auch für Narziss fruchtbar. Narziss erkennt durch Goldmund, dass das authentische Kunstschaffen nicht weniger als das Gelehrtentum ein Weg zu Gott sein kann.

 

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